Samstag, 24. Januar 2009
 
Die Sprache der Gewalt PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Uri Avnery   
Mittwoch, 5. September 2007

Israels Bevölkerung wäre zu Opfern bereit, wenn es Frieden gibt. Das wusste schon Ariel Sharon, dessen Politik darauf ausgerichtet war, diesen Friedenswillen zu dämpfen. Heute ist die Lage ungleich explosiver und verfahrener. Für den Autor aber nicht aussichtslos. Ein historischer Exkurs.


Bald nachdem Ariel Sharon zur Macht kam, begann er damit, eine allgemeine Meinungsumfrage in Auftrag zu geben. Das Ergebnis behielt er für sich. In dieser Woche gelang es einem Reporter von Israels Fernsehkanal 10, einen Teil davon zu erfahren. Unter anderem wollte Sharon wissen, was die Öffentlichkeit über die Friedensfrage denke. Er dachte nicht im Traum daran, selbst diesen Weg des Friedens zu gehen, doch war es für ihn wichtig, über die Trends informiert zu sein.

Bei diesen Umfragen wurde eine Frage gestellt, die inhaltlich den abschließenden Vorschlägen Clintons sowie der Genfer Initiative nahe kamen: Sind Sie für einen Frieden, der einen palästinensischen Staat einschließt, mit einem Rückzug aus fast allen besetzten Gebieten, mit der Aufgabe der arabischen Stadtteile Ost-Jerusalems und der Auflösung der meisten Siedlungen?

Die Ergebnisse waren sehr instruktiv. 2002 unterstützen 73% (dreiundsiebzig Prozent) diese Lösung. In den nächsten zwei Jahren wurde die Unterstützung weniger, wurde aber immer noch von der Mehrheit akzeptiert. 2005 sank der Prozentsatz der Befürworter unter die 50%-Linie.

Was hat sich in diesen Jahren verändert?

Der Fernseh-Interviewer wies auf den Zusammenhang hin: 2002 hatte die zweite Intifada ihren Höhepunkt erreicht. Es gab häufig Anschläge in israelischen Städten, bei denen Menschen ums Leben kamen. Die Mehrzahl in Israel wollte eher den Preis des Friedens als weiter mit Blutvergießen zahlen.

Später ging die Intifada zurück und mit ihr die Bereitschaft der israelischen Öffentlichkeit für einen Kompromiss. 2005 führte Sharon die „unilaterale Trennung“ vom Gazastreifen aus. Den Israelis schien es so, als könnten sie ohne ein Abkommen mit den Palästinensern auskommen. Die Bereitschaft zum Frieden sank unter die 50% Linie.

Ein bekanntes israelisches Schlagwort sagt: „Die Araber verstehen nur die Sprache der Gewalt.“ Diese Meinungsumfrage bestätigt, was viele Palästinenser denken: dass es die Israelis selbst sind, die keine andere Sprache verstehen.

Natürlich stimmen beide Versionen.

Ich habe oft gesagt, dass der israelisch-palästinensische Konflikt ein Zusammenstoß zwischen einer unwiderstehlichen Kraft und einem unbeweglichen Objekt ist. Ein Zusammenstoß ist eine Sache von Gewalt.

Der gegenwärtige beklagenswerte Zustand der Palästinenser, von denen die eine Hälfte unter Besatzung lebt und die andere Hälfte als Flüchtlinge, ist die direkte Folge der palästinensischen Niederlage im Krieg von 1948. Der erste Teil dieses Krieges von Dezember 1947 bis Mai 1948 war ein direkter Zusammenstoß zwischen dem palästinensischen Volk und der hebräischen Gemeinschaft (dem „Yishuv“). Dieser endete mit einer völligen Niederlage der Palästinenser. (Als die Armeen aus den benachbarten arabischen Ländern im Mai sich dem Kampf anschlossen, wurden die Palästinenser in diesem irrelevant.)

Das war natürlich eine militärische Niederlage, aber ihre Ursachen gingen weit über den engen militärischen Bereich hinaus. Sie wurde durch den Mangel an Zusammengehörigkeit in der palästinensischen Gesellschaft jener Zeit verursacht; ihre Unfähigkeit, eine funktionierende Führung und ein vereinigtes militärisches Kommando aufzubauen, ihre militärischen Kräfte zu mobilisieren und zu konzentrieren. Jede Region kämpfte für sich allein – ohne Koordinierung unter einander. Abd-al-Kader Husseini im Jerusalemer Raum kämpfte unabhängig von Fawzi al-Kakji im Norden. Der Yishuv dagegen war vereint und streng organisiert und gewann deshalb – trotz der Tatsache, dass die Bevölkerungszahl nur halb so groß wie die der arabischen Bevölkerung in Palästina war.

Die Hamasführer verspotten Mahmoud Abbas und seine Unterstützer in Ramallah, die einen israelischen Rückzug ohne bewaffneten Kampf erwarten.

Sie weisen darauf hin, dass sogar das Oslo-Abkommen (das sie ablehnen) nur dadurch erreicht wurde, dass ihm sechs Jahre der ersten Intifada vorausgegangen waren, was Yitzhak Rabin zur Überzeugung brachte, eine militärische Lösung sei nicht möglich?

Sie betonen mit Nachdruck, dass im Jahr 2000 Ehud Barak die Truppen aus dem Süd-Libanon nur wegen des überwältigenden Erfolges der schiitischen Guerillas herausholte.

Ihre Schlussfolgerung: auch ein palästinensischer Staat innerhalb der Grenzen von 1967 kommt nicht zustande, wenn der „palästinensische Widerstand“ den Israelis nicht genügend Verluste und Schaden zufügt, um sie davon zu überzeugen, es sei in ihrem eigenen Interesse, sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen.

Die Israelis – so sagen sie – werden nicht einen einzigen Quadratmeter aufgeben, ohne dazu gezwungen zu werden. Sharons Umfrage mag sie in ihrer Überzeugung stärken.

Die Leute um Abbas reagieren mit Spott gegenüber Hamas, weil diese glaubt, sie könne gegen Israel mit Waffengewalt gewinnen.

Sie weisen auf die immense Überlegenheit der israelischen Armee hin. Nach ihnen haben alle gewalttätigen Aktionen der Palästinenser für Israel nur den Vorwand geliefert, die Besatzung zu verstärken, mehr Land zu rauben und die Not der besetzten Bevölkerung zu vergrößern.

Und tatsächlich ist die persönliche Situation der Palästinenser auf der Westbank und im Gazastreifen jetzt unvergleichlich viel schlimmer als es am Vorabend der ersten Intifada war, als sie noch jeden Ort im Land erreichen, in allen Städten Israels arbeiten, am Strand von Tel Aviv baden und vom Flughafen Ben-Gurion abfliegen konnten.

Beide Argumente enthalten Anteile der Wahrheit. Yasser Arafat verstand dies. Deshalb tat er alles, um die Palästinenser um jeden Preis zusammenzuhalten, die israelischen Friedenskräfte zu ermutigen und internationale Unterstützung zu erhalten, ohne die Abschreckung des „bewaffneten Kampfes“ aufzugeben. Dies gelang ihm bis zu einem gewissen Punkt – die Folge davon war seine Beseitigung.

Die Palästinenser, die sich um das Schicksal ihres Volkes Sorgen machen, fragen sich, wo das noch hinführen mag.

Ihre Situation hat einen so tiefen Punkt erreicht, wie seit 20 Jahren nicht. Sie sind fast in aller Welt politisch isoliert. Die israelische Öffentlichkeit ist gleichgültig geworden und unter einem verlogenen Mantra vereint: „Wir haben keinen Partner“. Im israelischen Friedenslager sind viele entmutigt. Und was noch schlimmer ist, die palästinensische Nationalbewegung hat sich in zwei Fraktionen geteilt. Und es scheint so, als ob der gegenseitige Hass von Tag zu Tag zunähme.

Aufspaltungen sind bei Befreiungsbewegungen nichts Ungewöhnliches. Es gab kaum eine Befreiungsbewegung, die solch eine Krisis nicht durchgemacht hat. Aber eine Situation, in der zwei gegensätzliche Fraktionen die Kontrolle über zwei verschiedene Gebiete haben – noch dazu unter feindlicher Besatzung – ist fast unbekannt..

Es könnte hier interessant sein, diese Situation mit der zu vergleichen, die zwischen unseren eigenen Untergrundorganisationen vor der Gründung des Staates Israel bestanden hat.

Es gibt einige Ähnlichkeiten (natürlich nicht ideologisch): Fatah ist etwa wie die große Hagana-Organisation, die von der offiziellen zionistischen Führung kontrolliert wurde; Hamas und der islamische Jihad, die die PLO-Führung ablehnen, sind wie der Irgun und die Sterngruppe.

Fatahs Al-Aksa-Bataillone können mit der Palmach verglichen werden, den regulären Kampftruppen der Hagana.

Zwischen diesen hebräischen Organisationen entwickelte sich auch ein glühender Hass. Die Haganaleute betrachteten die Irgun-Anhänger als Faschisten, die Irgun-Kämpfer betrachteten die Haganaleute als Kollaborateure der britischen Besatzungsbehörde. Die nationale Führung nannte den Irgun und die Sterngruppe „Spalter“, die offizielle Irgun-Bezeichnung für die Hagana war „Scheißkerle“.

Die Auseinandersetzungen erreichten in der „Saison“ (Jagdsaison) einen Höhepunkt, als die Hagana Irgun-Mitglieder entführte und der britischen Geheimpolizei übergab, von der sie unter Folter verhört und dann in Internierungslager in Afrika deportiert wurden. Aber es gab auch eine kurze Periode, in der alle drei Organisationen ihre Aktionen unter einer gemeinsamen Kontrolle koordinierten. Es war die „hebräische Aufstandsbewegung“.

Israels Politiker erinnern gern an den Altalena-Vorfall, als Ben-Gurion den Befehl gab, ein Irgun-Schiff voller Waffen vor der Küste Tel Avivs mit einer Kanone zu beschießen. (Menachem Begin, der an Deck gekommen war, wurde knapp dadurch gerettet, dass ihn seine Männer ins Wasser warfen). Warum wagt Abbas nicht dasselbe gegenüber der Hamas?

Die Frage ignoriert eine wichtige Tatsache: Ben-Gurion benützte die „heilige Kanone“ (wie er sie nannte) erst, nachdem der Staat gegründet worden war. Das ist ein gewaltiger Unterschied.

Der bittere Hass zwischen der Hagana und dem Irgun und bis zu einem gewissen Grad auch zwischen dem Irgun und der Sterngruppe verringerte sich während der ersten Jahre des Staates langsam. Heute sind in Tel Aviv Straßen nach den Kommandeuren aller drei Organisationen benannt.

Was noch wichtiger ist: die Historiker neigen heute dazu, den Kampf aller drei als eine gemeinsame Kampagne zu sehen, als wären sie koordiniert gewesen. Die „terroristischen“ Aktionen des Irgun und der Sterngruppe ergänzten die illegale Einwanderungskampagne der Hagana. Die wachsende Popularität des Irgun und der Sterngruppe überzeugte die Briten davon, dass sie mit der offiziellen zionistischen Führung zu einem Modus vivendi kommen sollten, damit nicht die „Extremisten“ die ganze hebräische Gemeinschaft übernähmen.

Diese Analogie hat natürlich ihre Grenzen. Ben-Gurion war ein starker und autoritärer Führer wie Arafat, während die Position von Abbas viel schwächer ist. Menachem Begin war entschlossen, um jeden Preis einen Bruderkrieg zu verhindern, selbst wenn seine Leute entführt und den Briten übergeben wurden. Ich glaube nicht, dass Hamasführer in ähnlicher Situation so handeln würden.

Anders als der Irgun und seine unterstützende politische Partei, hat die Hamas bei den demokratischen Wahlen die Mehrheit gewonnen.

Aber es ist möglich, dass in der Zukunft, nachdem ein palästinensischer Staat entstanden sein wird, Historiker sagen werden, dass die Fatah, Hamas und der islamische Jihad sich in Wirklichkeit ergänzt haben. Präsident Bush drängt Ehud Olmert dazu, Mahmoud Abbas gegenüber Konzessionen zu machen, um eine komplette Übernahme der Westbank durch die Hamas zu verhindern. Vielleicht ist es genau dies, dass Gaza zu Hamastan wurde, was Abbas in die Lage versetzt, seine Schwäche auszunützen und Dinge zu erreichen, die er auf andere Weise nicht erreichen kann.

Um Präsident Bushs Forderung nachzukommen, ist Olmert jetzt auf jeden Fall bereit, mit Abbas so etwas wie ein „Rahmenabkommen“ vorzubereiten, das die Prinzipien eines Abkommens darlegt, das man später erzielen will – aber ohne Details oder einen Zeitplan.

Nach durchgesickerten Informationen wird das Abkommen mehr oder weniger Ehud Baraks Vorschläge von Camp David wiederholen, einschließlich einiger recht seltsamer wie z.B., die Souveränität Israels „unterhalb“ des Tempelbergs. Der palästinensische Staat wird eine „vorläufige“ Grenze haben – die „permanente“ Grenze soll irgendwann zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt werden. Olmert verlangt, dass die Trennungsmauer als „vorläufige“ Grenze dient. Dies ist übrigens das, was wir von Anfang an sagten und was sogar vor dem Obersten Gerichtshof heftig geleugnet wurde: dass der Mauerverlauf nicht Sicherheitsbelange berücksichtigt, sondern allein dafür bestimmt war, dass 8% der Westbank von Israel annektiert werden. In diesem Gebiet wurden die „Siedlungsblöcke“ errichtet. Es sind jene, die Präsident Bush großzügig versprochen hat, zu Israel zu schlagen.

Die ganze Sache ist für die Palästinenser sehr gefährlich. Wenn solch ein Dokument tatsächlich fertig gestellt wird, wird es zwar offiziell das Minimum sein, das die israelische Regierung zu geben bereit ist, aber es kann auch dahin interpretiert werden, dass es das Maximum ist, das Palästinenser fordern dürfen. Im politischen Leben ist nichts dauerhafter als das „Vorläufige“.

Es ist auch für die Israelis gefährlich. Es könnte zur Illusion ermutigen, solch eine Lösung setze dem Konflikt ein Ende. Kein Palästinenser wird dies als eine wirkliche Lösung des Konfliktes ansehen – der Konflikt wird weitergehen.

Wie wird die öffentliche Meinung diesen Plan aufnehmen? Um dies zu erfahren, wird Olmert gewiss Meinungsumfragen in Auftrag geben. Wir kennen die Ergebnisse nicht. Wie Sharon wird er sie geheim halten.


übersetzt von: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz

Orginalartikel:
25.08.2007 uri-avnery.de / ZNet Deutschland






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